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Gendern in der Medizin: geschlechtersensible Medizin rettet Leben

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Gendern ist mehr als Sprache – es rettet Leben. Sprache beeinflusst unser Denken – und in der Medizin kann sie über Leben und Tod entscheiden. Noch immer basiert der medizinische Standard oft auf einem männlichen Durchschnittspatienten. Das Problem? Frauen, nicht-binäre und trans Personen weichen in Symptomen, Krankheitsverläufen und Reaktionen auf Medikamente oft stark davon ab. Wenn diese Unterschiede nicht beachtet werden, entstehen gefährliche Diagnose- und Behandlungsfehler. Eine geschlechtersensible Medizin, die auf diese Unterschiede eingeht, ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern kann Leben retten. Doch was hat das mit betrieblichem Gesundheitsmanagement (BGM) zu tun? Mehr, als man zunächst denkt.

Gender & Gesundheit: Warum es keine Einheitsmedizin geben darf

Die Standardmedizin, die häufig auf dem Modell „Männlich, mittleres Alter, 1,70 Meter groß, 70 Kilogramm schwer“ basiert, wird der Realität nicht gerecht. Weder Frauen noch nicht-binäre Menschen oder Männer mit speziellen Gesundheitsanforderungen passen in dieses Raster, was zu Fehldiagnosen und falschen Behandlungen führen kann. Noch ist das Bewusstsein für die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Medizin viel zu gering, und die strukturellen Hürden sind hoch

Ein Arzt, der seine Hände ausstreckt und in jeder Hand eine unterschiedliche Pille hält.

Warum ist Gendern in der Medizin wichtig?

Der Herzinfarkt ist ein klassisches Beispiel für geschlechtsspezifische Unterschiede in der Medizin: Während die männliche Anatomie häufig typische Symptome wie Brustschmerzen aufweist, äußern sich Herzinfarkte bei der weiblichen Anatomie häufig in unspezifischen Symptomen wie Rückenschmerzen, Bauchschmerzen und kaltem Schweiß – Symptome, die oft fälschlicherweise als Stress oder psychische Erkrankungen diagnostiziert werden. Doch das ist nur ein Beispiel von vielen, bei denen die Standardmedizin an ihre Grenzen stößt. Auch bei Harnwegserkrankungen haben Menschen mit weiblicher Anatomie aufgrund ihrer kürzeren Harnröhre ein höheres Risiko, was häufig unbeachtet bleibt und zu einer verzögerten Behandlung führt.

Ein weiteres Beispiel sind Nierenerkrankungen: Personen mit weiblicher Anatomie sind häufiger von chronischen Nierenerkrankungen betroffen, doch werden diese oft später diagnostiziert und schlechter behandelt als bei Personen mit männlicher Anatomie, da medizinische Standardwerte oft nicht geschlechterspezifisch angepasst werden. Diese Unterschiede zu ignorieren, kann gravierende Folgen haben. Die Lösung? Eine geschlechtssensible Medizin, die individuelle Faktoren mitdenkt – auch in der betrieblichen Gesundheitsförderung.

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Gendern in der Medizin: Die Herausforderungen der Geschlechtersensibilität

Während geschlechtersensible Medizin zunehmend an Bedeutung gewinnt, hinkt die Forschung hinterher. In Deutschland beziehen nur 70 % der medizinischen Fakultäten geschlechtsspezifische Unterschiede in Krankheiten und Therapien ein, und dies oft nur sporadisch. Einzig wenige Universitäten wie Hamburg, Berlin oder Ulm gehen voran, aber deutschlandweit existieren nur vereinzelt spezialisierte Lehrstühle zur Gendermedizin.

Die Universität Greifswald geht mit gutem Beispiel voran. Im Rahmen eines Wahlfachs zur geschlechtsspezifischen Medizin werden Medizinstudierende dazu ermutigt, das Geschlecht von Anfang an als relevante Kategorie in ihre Arbeit einzubeziehen. Dieses Wahlfach könnte ein entscheidender Schritt sein, um das Bewusstsein für die Bedeutung geschlechtergerechter Medizin zu fördern. Das von BMBF mit 1,5 Millionen Euro geförderte Projekt läuft über fünf Jahre und verfolgt das Ziel, langfristig neue Strukturen in der Forschung und Lehre zu etablieren. Ein wesentlicher Fokus liegt darauf, Mediziner:innen und Forscher:innen für geschlechtersensible Fragestellungen zu sensibilisieren und eine gerechtere, individuellere Versorgung zu ermöglichen.

Geschlechtersensibilität: Der Schlüssel für Fortschritt in Medizin und BGM

Trotzdem belächeln immer noch viele den Fokus auf Geschlechtersensibilität. Die Notwendigkeit dieses Ansatzes im medizinischen Bereich sei im Klinikalltag noch nicht überall angekommen. Das Thema wird teils als überflüssig abgetan, und viele fühlen sich bereits vom Begriff „Gendermedizin“ überfordert. Das erinnert auch an die Widerstände, die bei der Einführung neuer Ideen zur betrieblichen Gesundheitsförderung (BGM) auftreten – ebenso wie die Relevanz von individueller Gesundheitsversorgung zunächst oft nicht wahrgenommen wird. Aber genau dort liegt der Schlüssel: Es geht darum, Unterschiede wahrzunehmen, zu respektieren und in die Praxis umzusetzen. In der Medizin und auch in der Gesundheitsförderung bedeutet das, den individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden – unabhängig vom Geschlecht.

Um den Fokus auf Gendermedizin erfolgreich zu verstärken, ist es entscheidend, politische Akzeptanz zu gewinnen. Expert:innen, wie Professorin Sylvia Stracke und Elpiniki Katsari, betonen, dass eine politische Diskussion auf Landesebene und die aktive Beteiligung an der Gestaltung politischer Prozesse eine wesentliche Rolle spielen. Wenn ein Thema politische Relevanz erlangt, steigt auch die Akzeptanz in der Bevölkerung. Diese Anerkennung auf politischer und gesellschaftlicher Ebene ist ein wichtiger Schritt, um die Gendermedizin weiter voranzubringen und nachhaltig in der medizinischen Praxis zu verankern.

Geschlechtssensibilität auch im BGM entscheidend

Ein erfolgreiches Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) der Zukunft muss Genderaspekte stärker in den Mittelpunkt stellen. Unternehmen, die auf die geschlechtsspezifischen Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden eingehen, können nicht nur die Gesundheit ihrer Belegschaft verbessern, sondern auch die Chancengleichheit fördern. Dazu gehört, Führungskräfte und Gesundheitsbeauftragte zu schulen, um ein Bewusstsein für die Unterschiede in Symptomen, Krankheitsbildern und Therapieansätzen zu schaffen. Ebenso sollten Präventionsmaßnahmen und Gesundheitsangebote flexibel gestaltet werden, um individuell auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden einzugehen – unabhängig von Geschlecht oder biologischen Merkmalen. Ein geschlechtssensibles BGM fördert nicht nur das Wohlbefinden der Mitarbeitenden, sondern trägt auch zu einer gesünderen, produktiveren Arbeitsumgebung bei, was letztlich den Unternehmenserfolg langfristig steigert.

Gendergesundheit als wirtschaftlicher Vorteil

Wer gesundheitliche Unterschiede berücksichtigt, sorgt nicht nur für fairere Arbeitsbedingungen – sondern auch für wirtschaftliche Vorteile:

Weniger Fehldiagnosen = weniger Krankheitsausfälle

Bessere Prävention = höhere Produktivität

Individuelle Gesundheitsangebote = zufriedenere Mitarbeitende

Investitionen in gendersensible Gesundheitsförderung zahlen sich also langfristig aus – für Unternehmen und Mitarbeitende gleichermaßen. Wer hier vorausschauend handelt, verbessert nicht nur die Gesundheit seiner Belegschaft, sondern stärkt auch die Unternehmenskultur und Mitarbeitendenbindung. Gendern ist dabei nicht die einzige Maßnahme, denn eine gesundheitsorientierte Führung ist auch hier entscheidend. 

Fazit

Geschlechtersensible Medizin ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit, um fehlerhafte Diagnosen und ungerechte Behandlungen zu vermeiden. Die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Unterschiede in Symptomen, Krankheitsverläufen und Therapieansätzen ist entscheidend, um allen Patient:innen gerecht zu werden und die bestmögliche Versorgung zu gewährleisten. Eine solche Medizin rettet Leben – und der Fokus auf diese Unterschiede muss noch stärker in die Praxis umgesetzt werden. Auch im Bereich des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) ist es wichtig, diese Erkenntnisse zu integrieren, um eine ganzheitliche, individuelle Gesundheitsförderung zu ermöglichen, die allen Mitarbeitenden zugutekommt.